Die Blumenkostüme von Montefosca

Jedes Jahr am letzten Faschingssonntag wiederholt sich in Montefosca, einer kleinen Bergortschaft der Natisone Täler, der Lauf der “Blumarji”, die sonderbaren Kostüme, die in den östlichen Alpen nichts ihresgleichen haben, weder in Italien noch in Slowenien.
Montefosca bedeutet “der finstere Berg”, auf Slowenisch Črni Vrh, “der schwarze Berg”: schon der Name wäre attraktiv genug, um dorthin zu fahren.

Neben der Faszination des Namens und des Faschings gibt es aber auch einen dritten Grund, um Montefosca zu besichtigen: es ist nämlich das einzige Dorf der Natisone-Täler, wo es noch eine Käserei im Betrieb ist und die Gässchen nach Heu und nach Kuhmist duften. Es gibt 2 Möglichkeiten, Montefosca zu erreichen. Eine lange lange Strasse schlängelt sich mit vielen Serpentinen von Stupizza (im Talboden) hinauf durch Zapotocco und Calla. Nur im Winter, wenn die Bäume kahl sind und der Blick von Hindernissen frei ist, kann man die ausgedehnten, jahrhundertealten Terrassen sehen, die der Schnee ganz präzis hervorhebt.

Sie liegen oberhalb und unterhalb eines ziemlich kompakten Häuserkerns. Nur die Kirche, die Schule und die (ehemalige) Kaserne der Grenzwache stehen am Rand: sie wurden offensichtlich später aufgebaut. Aber viel schöner ist es, von Stupizza auf dem alten und gut erhaltenen Kulturweg im Bodrino-Tal aufzusteigen. Bis 1953 war das der einzige Aufstieg zum Dorf. In einer Stunde überwindet man die 300 Höhenmeter, die die Talsohle vom Dorf trennen, und beim Ankommen auf dem schönen länglichen Plätzchen – Mündung aller gewundenen Gässchen – hat man schon das Dorfherz erreicht.

“Hier bei uns hat man den Fasching im Herzen – sagt stolz Frau Maria, die Wirtin der einzigen noch offenen Dorfkneipe – und zeigt uns dabei die verschiedenen Teile des Blumarji-Kostüms: weisses Hemd, weisse Hose, weisse Wollsocken, schwarze Samtschuhen (zeki, den friulanischen scarpets sehr ähnlich), drei grosse Kuhglocken, die man auf dem Rücken mit einem komplizierten Seilknoten befestigt, bunte Taschentücher und vor allem der hohe, sonderbare Hut.

Es handelt sich von einem Strohhut, aus dessen Kappe ein langer Stiel ragt; von diesem Stiel gehen viele andere Stiele ab. Das ganze wird mit bunten Papierstreifen dekoriert und ähnelt dann einem Baum in Blüte. Nicht umsonst kommt der name Blumarij aus dem deutschen “Blume”.

“Einmal hatten wir nicht nur die Blumarji in unserem Karneval – fährt Maria fort – sondern auch alle anderen typischen Masken der “Guten” und der “Bösen”…aber jetzt ist nur diese geblieben”. Die Blumarji sollten alle junge ledige Männer sein in ungerader Zahl. Mit einem schnellen hüpfenden Gang, dabei kräftig ihre Glocken schüttelnd, müssen sie eine besondere Runde zwischen Montefosca und der Ortschaft Paceida so viele Male zurücklegen wie ihre Wahl ist. Dabei können sie sich auf einem langen Stock (pistok) stützen, um nicht zu rutschen und das weisse Gewand zu verschmutzen. 

Am Ende jeder Runde gibt es natürlich für sie auf einem grossen Tisch jede Menge zu essen und zu trinken!

Dem Wirtshaus gegenüber lebt Giuseppe “Berto” Laurencig, Jahrgang 1930. “Kommen Sie bitte zu mir – sagt er – ich bin allein und freue mich auf ein kleines Schwätzchen. Geboren bin ich hier, aber die Hälfte meines Lebens habe ich im Ausland verbracht: zuerst in Frankreich, dann in der Schweiz und in Deutschland. Mir ging´s nicht schlecht, ich lerne Fremdsprachen ziemlich schnell. Aber ich wollte unbedingt meine Familie bei mir haben, sonst hätte ich mein Leben verpfuscht. 1991 kam ich zurück, als ich in die Rente ging: das hatte ich mir immer vorgenommen, aber nie hätte ich gedacht, in ein Dorf zurückzukehren, wo man kein Kind weinen hören kann.

Schau, jetzt sind wir nur 54 geblieben. 1939 waren wir 681 Seelen hier: das kann ich dir ganz genau sagen. Mit 9 war ich schon Kirchendiener, wir bekamen eine Lira für jede Seele, und es war nicht wenig Geld, ganz im Gegenteil. Ich habe nämlich meiner Schwester geholfen, ihr Aussteuer zu kaufen. Erst in den Fünfziger Jahren begann die Flucht aus dem Dorf. Die neue Schule nämlich, 1951 fertig gebaut, blieb nur 3 Jahre offen. Von 1955 bis 1970 ging jeden Tag eine andere Familie weg. Die Alten starben, die Jugendlichen waren immer weniger, in kurzer Zeit ist das Dorf fast verschwunden. In den letzten 30 Jahren ist die Situation dagegen stabil geblieben.”

Wovon lebten die Leute, frage ich. “Von Tierzucht. Wir hatten drei Kühe, nicht mehr, aber wir hatten auch 250 Hühner, und das machte viel aus für eine Familie mit neun Kindern. Wer mehr als 6 Kühe hatte, der war bohat, reich, aber niemand hatte mehr als 10, denn es hätte nicht Heu genug gegeben. Das kleinste Stück Boden wurde benutzt. Die Familien waren sehr kinder-reich (Berto betont dieses Wort besonders), ich weiss nicht mehr, wo alle schliefen, denn hier bei uns (im Gegensatz zu Friaul) sind die Häuser sehr klein. Auch das Heu blieb nur draussen in den Heugarben (mede), wir haben hier keine Heuscheune wie in Friaul. Als der Wind krivac, der den Schnee bringt, zu blasen begann, musste man sofort genug Heu von den Garben nach Hause bringen, sonst hätten die Tiere nichts zu fressen gehabt.

Die Häuser in Friaul sind gross, sie haben Überdachungen, Scheunen, hier in Benecia ist es anders, die Häuser haben nur das strikt Not-wen-di-ge! Um dieses Haus zu bauen, habe ich alles auf meinem Rücken von Stupizza hinauf getragen! Es war im Jahre 1951, ich war 22, es gab natürlich die Strasse noch nicht, nur den Maultierpfad, den Sie auch kennen. Nur Kalk hat man hier vor Ort gemacht. Aus dem Fluss Natisone nahmen wir den Sand, das wertvollste Material, nicht einmal einen Korn sollte verloren gehen. Und die Dachziegel, die noch auf dem Dach sind, die habe ich auch hinauf getragen: 60 Ziegel, 60 Kilos auf einmal auf dem Rücken. Eine harte Arbeit, aber daraus ist ein Haus entstanden. Auf dem Weg gibt es hie und da niedrige Mauer, die pocivagnach (Ruheplatz), wo man sich ausruhen konnte, ohne den Last von den Rücken runterzutun; so was konnte man allein nicht machen, und wenn man ein wenig Wasser trinken wollte, sollte jemand dabei sein, um dir zu helfen”

Ich frage: Wieso existiert in Montefosca noch eine Käserei, wieso wird noch Käse gemacht, wieso riecht man den Duft von den Ställen? Berto antwortet: “Hier gibt es noch einen landwirtschaftlichen Betrieb mit mehr als 16 Milchkühen und viele Ziegen. Das ermöglichte auch anderen drei kleinen Bauern, ihre Ställe zu behalten. Miliz hat 3 Kühe, genauso viele hat Vito und Delchi hat sogar 5 Milchkühe. Sie sind nicht ins Ausland emigriert wie ich. In den Fünfziger Jahren gab es hier 450 Kühe und die Käserei produzierte jeden Tag 28 Kilos Butter und genau so viel Käse. Jetzt verarbeiten wir hier nur 4 Zentner Milch pro Tag: unter dieser Menge würde es sich nicht mehr lohnen, eine Käserei zu halten. Der Käser kommt jeden Tag um 6 Uhr in der Früh hierher von Slowenien. Er wohnt in der Nähe von Kobarid und besitzt dort einen grossen landwirtschaftlichen Betrieb und verarbeitet seine Milch selbst. Wollen Sie seinen Quark kosten?” Berto steht auf, geht in die Küche und kommt zurück mit einer Schüssel voll mit köstlichem weissem Quark. “Ich gebe Ihnen eine Gabel, aber Sie sollten wissen, dass laut Tradition sollte man den Quark mit drei Fingern kosten, bevor man ihn kaufte. Greifen Sie zu, machen Sie keine Umstände! Je dobra (er ist gut)! Dann hat man ein Schnäpschen dazu getrunken: wenn man es in einem Zug trank, bedeutete es, dass es gut war und ein weiteres trinken wollte; wenn man dagegen daran nippte, bedeutete es, dass es dir nicht schmeckte”.

Aber sprechen wir weiter von Kühen, welche Rassen habt ihr gezüchtet? “Alle waren der Rasse “Bruno Alpina”, die gesündeste und die anspruchloseste, sie waren klein aber hatten ziemlich viel Milch, wurden selten krank und mit ihren dünnen Beinen erreichten sie leicht alle Weiden, unsere steilen Wiesen eignen sich nicht für schwere Kühe. Im Spätfrühling brachten alle Bauern ihre Kühe auf die Weiden; in der Konjska dolina, dem “Pferdetal”, hatte jede Familie eine eingezäunte Weide. Man sieht noch die Spuren davon auf der Strasse nach Farcadizze, eine halbe Stunde ungefähr zu Fuss vom Dorf.

Es duftete hier im Dorf nach Gras, nach Blumen, nach Polenta, nach Kühen und ja, natürlich auch nach Mist! Bei jedem Stall war ein Misthaufen, der Mist war erster Qualität, ein Mist, der wirklich duftete. Es war höchstens wertvoll für uns und wenn er reif war, wurde er auf die Felder, die Gärten und die Wiesen gebracht. Aber der Heuduft…der Heuduft des Berges Joanaz, der war etwas besonderes, es war ein Genuss, auf diesem Heu zu schlafen. Montefosca wäre heute ein wirklicher Garten, hätte man uns damals ein bisschen geholfen, damals, als alle noch da bleiben wollten, aber man konnte nicht mehr alles manuell erledigen und niemand das Geld hatte, landwirtschaftliche Maschinen zu kaufen!”

Der letzte Aufenthalt im Dorf ist bei Delchi. Aber er ist gerade im Stall und bereitet das Futter für seine Kühe vor; uns empfängt die Hausherrin, und die Wärme der Küche hüllt uns ein wie eine Decke. Die zwei Töchter Delchis arbeiten im Tal: die eine ist Schulmeisterin in Pulfero, die andere ist Krankenschwester im  Krankenhaus von Cividale. “26 Kilometer nur hin, und wir haben natürlich auch Nachtschichten. Schwierig ist es, im Winter, mit Eis und Schnee bei der Dunkelheit runterfahren zu müssen. Solange die Strasse eben ist, geht es noch…aber wenn sie steil wird, ist jede Kurve ein Alptraum!” ©Antonietta Spizzo für die Zeitschrift “IL NUOVO FVG” 2005, deutsche Fassung der Autorin.